Die Gesellschaft setzt weiterhin vorrangig auf jüngere Menschen
»Alters-Reservisten« im Jobmarkt bleiben politisches Wunschdenken
Ist das „Graue Gold“ ein Job-Märchen?
Das Magazin „Stern“, Ausgabe Nr.10 vom 02.03.2023, machte einen
publizistischen Vorstoß: Das „Graue Gold“ (laut „Stern“ ein Zitat von
Claus Ruhe Madsen, Arbeitsminister von SH) soll die gesellschaftliche
Reserve bilden gegen eine drohende Verknappung von Arbeitskräften.
Wertvolle Potenziale gehen volkswirtschaftlich verloren
Das Verbot von Altersdiskriminierung ist rechtlich zwar ein positiver
Ansatz. Bleibt aber ein hohles Gesetz bei der Eingliederung bereits
verrenteter Senioren:
Sinn und Bedeutung vom §§1 AGG (Allg. Gleichbehandlungsgesetz)
liegt vorrangig im Schutz von Beschäftigten: Bei altersbegründeten
Entlassungen zum Renteneintritt, dürfen Betroffene weiterarbeiten,
wenn sie es möchten. Eine subtile Ausgrenzung älterer Kandidaten
formulieren Stellenausschreibungen: Wunsch-Kanditaten wird der
Einstieg in ein „Junges, dynamisches Team“ angeboten.
60+ ein stumpfes Werkzeug für den Arbeitsmarkt?
Mein Selbstversuch:
Mit strammen 73 Jahren und 30 Jahren Selbständigkeit suche ich
eine seriöse und sinnvolle Tätigkeit. Bei Bedarf freiberuflich, damit
sogar sozialversicherungsfrei. Auf dem Weg der Neuorientierung
schallt mir ein unterschiedliches Echo entgegen:
Einige Freunde zweifeln an meiner Einschätzung des Arbeitsmarktes.
Sie fragen sich, warum meine Rentenplanung so spät nachgeschärft
werden muss. Andere empfehlen mir ein Ehrenamt, einen Job als
Parkhauswächter, auch als Nachtportier im Hotel. Oder verorten
mich gern als Ticketkontrolleur am Theater. Alles ehrliche Jobs, die
den Kern vorhandener Berufserfahrung aber nicht treffen.
Bewerbungen Älterer gesellschaftlich unsolidarisch?
Also bewerbe ich mich digital mit sauberem Anschreiben. Dazu die
Liste mit qualifizierten Weiterbildungen. Die Absagen befremden.
Personaler begründen Ihre Entscheidung auch auf Nachfrage nicht.
Klar, der Job soll beiden passen: Dem Jobanbieter, der sich auf mich
einlässt und mir.
Es geht hierbei um Abstimmung zur Arbeitskultur und um fachliche
Eignung; schnelles Onboarding und mögliches Konkurrenzverhalten
im zukünftigen Team. Eventuell auch um Gesundheitsvorbehalte und
um passgenaues Arbeitszeitmanagement.
Die 60+ Generation bietet eine konkrete Alternative
Worin liegen in der Praxis die Hemmnisse bzw. Bedenken gegenüber
Veteranen? Sie stehen außerhalb vom betrieblichen Wettbewerb.
Senioren sind kollegial, anpassungsfähig und durchaus lernbereit.
Ihre monetären Ansprüche sprengen kein Stellenetat. Sie streben
nach sinngebenden Tätigkeiten und zahlen soliden Mehrwert ein.
Sie stärken verlässlich jedes Backoffice und leisten reife, gestandene
Betreuung. „Silver-Ager“agieren oft als erfahrene Quereinsteiger mit
hoher Beratungsqualität. Marktwirtschaftlich wiegt das in der Summe
stärker als ihre eventuell nachlassende Jugendlichkeit.
Ein beherzter Versuch in Unternehmen und Institutionen ist es wert.